Lesezeit: 4 min | Sep. 2023

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Interviews

Was brauchen wir für ein gemütliches Zuhause? Designer Joa Herrenknecht über Farben, große Fenster und Kindheitserinnerungen

Was wir als gemütlich empfinden, hängt eng mit unseren Emotionen zusammen - die wiederum mit vergangenen Erfahrungen verknüpft sind, meistens aus der Kindheit. Aber wenn unsere Erziehung unseren Geschmack beeinflusst, wie viel mehr muss sie dann die Kreativität von Designern prägen? Ein Gespräch.

Auch wenn die Pandemie vorbei ist, verbringen wir immer noch die meiste Zeit in Innenräumen. Was wir als schön und gemütlich empfinden, ist eng mit den Gefühlen verbunden, die wir beim Betreten eines Raumes empfinden und die wiederum mit unseren früheren Erfahrungen zusammenhängen. Aber wenn schon unsere Erziehung unseren Geschmack beeinflusst, wie viel mehr muss sie dann die Kreativität der Designer prägen? Lesen Sie, was der Möbel- und Produktdesigner Joa über Wohntrends, Nostalgie, Kindheitseinflüsse und Vorbilder zu sagen hat!

Joa Herrenknecht

Joa Herrenknecht ist eine Produkt- und Möbeldesignerin, die in Berlin und Toronto arbeitet und Mitbegründerin des weiblichen Designkollektivs Matter of Course ist. Zu ihren nächsten Projekten gehören eine Decken-Kollektion für Metsovaara aus RMS-zertifiziertem Mohair und ein neues Wandgarderobensystem für Metallbude. Außerdem entwarf sie Sofas und Lampen für die dänische Einrichtungsmarke Bolia und andere. Ihre Designsprache ist eine kühne Verwendung von Farben und grafischen Formen.

iF: Joa, viele Dinge aus unserer Kindheit, seien es Gerüche oder Farben, haben unseren Sinn für Ästhetik und sogar für das, was wir unter dem Wort "Zuhause" verstehen, geprägt. Wie war es für dich, als du aufgewachsen bist? Wie hat dich diese Ästhetik beeinflusst - sowohl positiv als auch negativ?

Joa: Als ich ein Kind war, lebten wir zunächst in einer kleinen Wohnung, später zogen wir in ein Haus in einem kleinen Dorf. Dort gab es viele schöne alte Fachwerkhäuser, wie sie in Süddeutschland üblich sind. Das einzige Problem ist, dass sie innen so dunkel sind! Wir hatten einen relativ großen Garten, was für mich sehr wichtig war. Viele Menschen meiner Generation leben in der Stadt, weit weg von dem, wo sie aufgewachsen sind. Viele vermissen die Freiflächen. Deshalb sind Stadtparks so wichtig! Wenn man jung ist, will man am liebsten gleich in die Stadt ziehen. Sobald man Kinder hat, sucht man nach mehr Platz - und nach Ruhe. Obwohl ich in New York, Berlin und jetzt in Toronto gelebt habe, bin ich durch meine Kindheit auf dem Dorf geerdet. Ich kann verstehen, dass Michele de Lucci sich dafür entschieden hat, aufs Land zu ziehen und dort zu arbeiten. Aber man braucht auch die Stadt. Dort gibt es so viele interessante Begegnungen. Meine Mutter kommt aus Kolumbien, und ich habe festgestellt, dass es in der Stadt für farbige Menschen einfacher ist. In manchen Gegenden fühlt man sich wohler als in anderen.

Joa Herrenknecht on 'Barbie"-aesthetics
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in absehbarer Zeit alle in Swarovski-geschmückten, rosafarbenen Innenräumen leben werden. Andererseits glaube ich, dass die Farbe ein Comeback erleben wird!"

iF: Apropos Kindheitserinnerungen: Überall sieht man jetzt Barbie - bis hin zu Rosa und Swarovski-Kristallen im Innendesign. Ist das eine Rückkehr zum Maximalismus oder einfach nur Nostalgie?

Joa: Ich muss zugeben, dass ich den Film nicht gesehen habe und dass ich mich nicht wirklich für Barbie interessiere. Wie dem auch sei, ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in absehbarer Zeit alle in mit Swarovski verzierten, rosafarbenen Innenräumen leben werden. Andererseits glaube ich, dass die Farbe ein Comeback erleben wird. Vielleicht nicht sofort, aber in fünf Jahren wird es sicher eine Gegenbewegung zu diesem "Grau und Beige=Grau"-Trend geben, bei dem alle Räume auf das absolute Minimum reduziert werden. Der Naturtrend wird nicht ewig anhalten, obwohl ich es toll finde, dass wir alle mehr Wert auf Keramik und handgemachte Dinge legen. Vielleicht werden wir eine Art Fusion sehen: Wände aus Lehm, aber in hellen Farben - wie bei India Mahdavi.

iF: Seit Jahren neigen Innenarchitekten und Architekten zu großen, hellen Räumen mit bodentiefen Fenstern. Psychologen sagen uns, dass wir uns in kleineren, gemütlicheren Räumen eher wohl fühlen

Joa: Wir wohnen in einem dieser Häuser mit einer großen offenen Küche und bodentiefen Fenstern. Während der Pandemie sind mir zwei Dinge aufgefallen. Erstens: Es ist wunderbar, dort zu sitzen, wo so viel Licht ist. Aber wenn man in einem Haus mit kleinen Kindern lebt, kann eine offene Küche auch ziemlich laut werden. Freunde von mir denken darüber nach, die großformatige Küche in kleinere Räume aufzuteilen. Schließlich will man nicht immer ins Schlafzimmer gehen, wenn man zoomt. Es geht auch darum, wie man sich während der Arbeitszeit zu Hause fühlt. Wir verbringen so viel Zeit im Büro, sei es innerhalb oder außerhalb des Hauses. Und Büros sind weniger anfällig für Trendfarben wie Magenta.

Die großen Fensterwände bleiben jedoch erhalten. Tageslicht ist so schön, aber auch sehr wichtig für unsere Stimmung.

"Ich kann verstehen, dass Michele de Lucci sich dafür entschieden hat, aufs Land zu ziehen und dort zu arbeiten. Aber man braucht auch die Stadt."

iF: Wer sind Ihre Vorbilder im Design und was haben Sie von ihnen gelernt?

Joa: Da gibt es so viele. Ich habe an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe bei Stefan Diez, Werner Aisslinger und vielen anderen fantastischen Industriedesignern studiert. Dann habe ich für Patricia Urquiola in Italien gearbeitet und viel von ihr gelernt. Ihre Beharrlichkeit war - ist - sehr beeindruckend. Sie hat so viel Kraft und Energie! In Italien habe ich auch gelernt, dass "Designer sein" auch eine Lebensentscheidung ist. Man kann sich entscheiden, wie man arbeiten möchte, so wie man sich entscheidet, guten Kaffee zu trinken. Außerdem entstehen einige großartige Produkte durch Zufall. Wir haben damals viel gearbeitet und auch viel Spaß miteinander gehabt. Das Team war großartig. Manche Designer wissen, wie man ein großartiges Team um sich herum aufbaut, was neben allem anderen eine große Fähigkeit ist.

iF: Was wünschen Sie sich noch vom Design?

Joa: Ich möchte an Produkten oder Projekten arbeiten, die einen langen Lebenszyklus haben. Die lange produziert und vermarktet werden und die es auch in 10 oder sogar 20 Jahren noch geben wird. Als Designer, aber auch für Unternehmen, wird es immer wichtiger, über Nachhaltigkeit nachzudenken. Wir alle müssen weniger, aber in besserer Qualität kaufen - das ist kein Trend, sondern ein Muss!